Kaum zu glauben: Nun verbringe ich mindestens 24 Stunden die Woche dafür, dass ich Lohn bekomme.
Ein Eintauchen in eine neue Welt. Das Erfahren der Bestätigung von dem, was ich schon wusste.
Es mutet seltsam an: Tatsächlich wird mir erst jetzt bewusst, dass ich nahezu mein ganzes Leben keiner klassischen Lohnvertragsarbeit nachging. Wenn ich Geld für mein Tun bekam war es projektspezifisch, sehr individuell geregelt, mit absehbarem Ende, in Form von Stipendien oder eben dem was das österreichische Sozialsystem als nächst mögliches Grundeinkommen hergibt.
Nun hab ich einen unbefristeten Vertrag – den ich aber noch nicht unterzeichnet hab, weil ich auf einige Änderung beharre.
Nun werd ich konfrontiert mit dem, was mir bereits bewusst war. Und doch: Das direkte Sehen und Erfahren, dass diese Realität tatsächlich so aussieht ist erschreckend. Vor allem, wie sich Menschen der Absurdität und Erstickung von individuellen Potenzialen beugen, obwohl beides offensichtlich ist. Stattdessen wollen sie, im vollen Glauben, dass es so sein soll und dass es gut ist, funktionieren.
Diese verketteten, mir lebensfern erscheinenden Hierarchien, der starke Glaube, dass mensch nichts an seiner Situation, geschweige denn an einer Gesamtsituation ändern kann, sind Tatsachen, die Entstehen im Glauben daran. Und die Konfrontation mit diesem Glauben ein Schrecken und ein hinaus Bewegen aus meiner Komfortzone. Konfrontiert werde ich mit diesem Glauben durch meine Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin erstaunt, wie leicht sich Menschen vorgefertigte Systeme und Ideen, wie zum Beispiel jene eines Betriebes, für ihre Identifikation nehmen. Wie sie sich damit zufrieden geben, sie als Füllung des eigenen Lebens zu nehmen und es als Erfüllung annehmen. „Annehmen“ im doppelten Sinn: Sie nehmen es an, wie ein Geschenk und sie nehmen an, dass es ihre Erfüllung sei. Ich wage nämlich zu behaupten, dass ich hinter ihrer Identifikation und Freude mit der erbrachten Leistung weit mehr Potenzial, weit mehr Leben sehe, was die Menschen in die Welt bringen können und vor allem was sie glücklich macht. Weil wirklich glücklich erscheinen sie mir nicht. Wie Hunde, die vor Freude wedelnd ihren „Besitzer*innen“ einen Apportierstock bringen, während sie traurige Augen haben. Das direkte Sehen und Erfahren, dass diese Realität tatsächlich so aussieht, ist erschreckend.
Aber ja, ich verstehe durch diese Erfahrung, wie leicht es ist, für das Ausführen von Aufgaben in einem System Anerkennung zu bekommen und sich damit glücklich zu glauben. Retrospektiv auf meine Erfahrungen abseits dessen sehe ich, wie viel schwieriger es ist, nach zu denken und nach zu fühlen, womit mensch sich wirklich identifizieren will und sein Leben füllen möchte. Also mir fällt das Annehmen von Anerkennung als Rädchen in einem System definitiv leichter als das selbstbehauptende und selbstwertschätzende Navigieren abseits der Hegemonialität. Da gab es auf der Strecke weniger Zuckerhäppchen um am Kurs zu bleiben. Durch klar kollektiv anerkannter Werterfüllung sind Grenzüberschreitung der eigenen Ressourcen und Überdeckung eigener Gefühle, Träume und womöglich der Berufung gut möglich.
Dieser erste schockierende Eindruck wurde gespickt mit der irritierenden Konfrontation mit Dominanz. Nach der ersten Erschütterung fand ich wieder Zugang zu meiner Kraft auch in dieser Welt authentisch in aufrichtiger, gebender und nehmender Qualität zu sein. Nur so konnte ich auch dem Dilemma entkommen, dass mir nun die Zeit fehlte, für die Vorhaben und Kontakte, die mir wirklich wichtig erscheinen. Eben Projekte und ein Alltagsleben, die Alternativen zu diesem Produktions-Konsumtions-Wahn bieten. So gibt es hier halt Abstriche, wie zum Beispiel keine Verweise auf wissenschaftliche Literatur zu meinen Erfahrungen und den Inhalten dieses Textes.
In dem Dilemma gab es schon mich selbst verurteilende Gedanken, dass ich es nicht besser geschafft habe mit dem, was mir wirklich wichtig ist, Geld zu verdienen. Da gab es sehnsüchtige Blicke zu anderen Personen, die bezahlt in Institutionen tätig sind, hinter denen sie voll und ganz stehen und die ich im Grunde auch sinnvoll finde. Oder noch schlimmer: Die Selbstvorwürfe, dass ich als subversive Lohnvertragsarbeitskritikerin und Alltagsstrukturaufbauerin, mich nun in diesen Reigen begebe. Da waren nicht nur Stimmen des Verrats, sondern wahrhaftig das Gefühl, Säulen meiner Identität stürzen ein.
Doch hatte ich nicht die Sehnsucht nach einem Job, von dem ich mich gut abgrenzen kann und dafür einen Verdienst, der mir ein finanziell leichteres Leben als bisher ermöglicht? Ja, hatte ich. Ja, im Grunde habe ich nun genau das, worauf ich teilweise unbewusst und genauso bewusst hingearbeitet habe. Also brauch ich mich dafür nicht verurteilen – auch nicht dafür, dass ich es mir selber kreiert habe. Ungeachtet ob es gerechtfertigt ist oder nicht, mich zu verurteilen, wäre es engstirniger Dogmatismus und würde nichts außer Blockierung meines Seins bringen. Also freue ich mich lieber darüber, dass in Erfüllung gegangen ist, was ich zu einem Teil wollte. Denn es gibt viele Faktoren, die meiner Wunschliste entsprechen: Fahrt in die Arbeit mit dem Fahrrad möglich, noch dazu auf einer wunderschönen Strecke, die mir wahre Auftankplätze, Naturverbindungspflege und sportliche Betätigung vor und nach der Lohnvertragsarbeit bieten; doch recht großes Mitspracherecht was meine Dienstzeiten betrifft; für mich ausreichende Bezahlung; Umgang mit interessanten Menschen.
Ebenso freue ich mich über die Erkenntnis, durch meine autonome Lebenspraxis eine Belastungstoleranz und Selbststrukturierung mit zu bringen, die mir die Lohnvertragsarbeit weit weniger anstrengend vorkommen lassen, als ich es befürchtet habe. Auch die dadurch gegebene Distanz zu dem betriebswirtschaftlichen Spektakel sehe ich als entlastend.
Diese Distanz ermöglicht mir genauer hinzusehen und lässt mich erkennen, dass es für mich weit mehr zu tun gibt, als mein Arbeitsvertrag vorsieht.
Dieses Hinauswagen aus meiner sozialen Blase zeigt mir, wie stark und durchtränkt Interaktionssysteme von Kalkül, Misstrauen, Lügen und Fassadenpflege sind. Und hier erkenne ich, dass ich richtig bin. Dass es ein Umfeld ist, wo ich wirken kann. Dass ich an der Konfrontation mit mich Irritierendem nicht verzweifeln muss, sondern einfach nicht darauf einsteigen und dementsprechend mitspielen muss. Ja, tatsächlich, ich erkenne, dass ich hier den Raum habe, anders zu sein und damit zu wirken. Und auf einmal fühlt es sich fast an, wie vor dem Eintritt in die Lohnvertragsarbeit: Ich fühl mich nicht von einem Betrieb oder gar einem Konzern angestellt sondern „als Angestellte des Universums“. Klingt jetzt hochtrabend. Gleichzeitig glaube ich, dass wir das alle sind. Es ist nur eine Frage, ob wir uns trauen, uns nicht einem Hierarchiekonstrukt zu unterwerfen, sondern uns in einem Gefühl von „Wofür bin ich da?“ hingeben. Fragen wie „Wo und wie kann ich, so wie ich bin, wirken? Was bringe ich für diesen Rahmen mit?“ ermöglichen mir, mich als Gesamtes und im überbetrieblichen Kontext wahrzunehmen. Da zählen meine Qualifikationen und das, wofür ich von einer mir vorgesetzten Person vorgesehen bin. Und ich erlebe, wie mir das Kraft gibt, um dort wirkungsvoll zu sein.
Dafür bin ich dankbar.
Ein Einblick in die Fassade
Fassung bewahren, Fassade bewahren.
Dies erscheint mir als die Hauptanforderung in dem Betriebssystem, in dem ich nun bin und wie es sich als Strategie durch die gesamte kapitalistische Gesellschaft zieht.
Viel Aufwand wird betrieben, um so zu tun, als ob alles super wäre, während darüber gejammert wird. Weil genauso, wie meine Kolleginnen und Kollegen sich glücklich über ihre Situation schätzen, leiden sie darunter und jammern sie darüber. Verhältnismäßig erschreckend wenig Mut und Vertrauen sehe ich bei den Menschen, aktiv zur Unperfektion zu stehen und daran etwas zu ändern. Mir scheint, es möchte gar nicht wirklich hingesehen werden, weil dann könnte mensch ja erkennen, dass etwas getan werden könnte. Oder weil mensch dann komplett der Hilflosigkeit im Glauben der Unmacht erliegt. Erschreckend ist für mich der Einblick in Lebensrealitäten von Menschen, die sich ihrer Handlungsmacht nicht bewusst sind, die lieber jammern oder die eigene Kreativität durch Beschwerden abgeben, während sie keine Wahrnehmung ihres Handlungsspielraumes haben. Erschreckend ist für mich, zu sehen, wie mehr Zeit dafür aufgewendet wird, Servietten zu falten, statt in die ordentliche Abwicklung von Vorbereitungen oder in die Anerkennung und Bearbeitung von Problemen an der Wurzel. Im Gegenteil: Es gilt als gut und anerkannt, sich um die Fassade zu kümmern. Jemand, der hinter der Fassade aufräumen will oder gar eine Wurzelbehandlung anstrebt und stattdessen die Fassade mal schlichter lässt, wird skeptisch beäugt und getadelt. Doch liegt darin nicht ein Potenzial für solidarischen, friedlichen Umgang? Entspricht es nicht viel mehr einer Wahrhaftigkeit, wenn die Fassade erkennen lässt, was sich dahinter abspielt?
Schließlich beeinflussen uns die unperfekten und problematischen Tatsachen. So zu tun, als wären sie nicht, ist irrwitzig. In verzweifelnde Dramatik zu verfallen ebenso. Im Vermögen, anerkennend zu den Gegebenheiten zu stehen, sehe ich Handlungsmacht.
Derartige Haltung scheint mir jedoch selten gegeben zu sein. Mir wird durch meine Erfahrungen in der fassadentreuen Lohnvertragsarbeit klar, wie sehr wir eine Kultur des „handlungsmachtlosen nicht dazu Stehens“ etabliert haben. Sei es in zwischenmenschlichen Interaktionen, strukturell-organisatorischen Vorhaben oder in Bezug auf die ökologische Disbalance im umfassenden Sinne, wie ich die Verflechtung von Kriegen, Konsumwahn und Klimaherausforderung nenne: Es fällt uns schwer, Unperfektion zuzugestehen und sie als Potenzial wahrzunehmen, weil wir lieber oberflächliche Harmonie oder eingefahrene Gewohnheiten mit gutem Glauben bis Lügen aufrecht halten.
Ich seh zwischen den großen, globalen Themen und der sudernden und gleichzeitig beschönigenden Fassadenkultur im Alltag einen maßgeblichen Zusammenhang: Es gibt viele Menschen, die gelernt haben, dieses Gefühl von „Ja, das ist gesund“ und „Nein, das ist gerade nicht gesund“ zu übergehen, während sie gut sind im Fassade Kitten und aufrecht Erhalten.
Wenn es also breit vertreten ist, nicht zu spüren, was gesund ist, können auch leichter ungesunde Dynamiken und Vorhaben stattfinden, ohne, dass die Destruktivität tatsächlich wahrgenommen wird und daraus umsteuernde Konsequenzen resultieren. Stattdessen ergibt mensch sich dem jammernd und erlaubt sich keine Unperfektion, kein Scheitern, kein „in Entwicklung sein“. Dieses nicht Anerkennen, dass jemand selbst, anderer oder wir im Kollektiv noch in Entwicklung sind, bringt jedoch auch die Blockierung für Weiterentwicklung mit sich.
Ich verstehe, dass die transparente Anerkennung von Unperfektion unbequem ist. Doch ehrlich: Gibt es die unversehrte, heile, reine Welt? Gibt es allseits heile Beziehungen? Aktuell glaub ich sicher nicht. Die Welt und darin wir alle sind so, wie wir sind: mit Schrammen und Schnitzern, immer fragend und experimentierend am Weg, in permanenter Entwicklung. Schrammen heilen auch viel besser, wenn darüber gelacht wird und sie mit Anerkennung, Liebe und Leichtigkeit beachtet werden, statt wenn sie ignoriert werden oder ihnen ein alles umfassender Fokus bis zur Dramatik gegeben wird, oder?
Wir als Gesellschaft haben meiner Meinung nach die Notwendigkeit von großen Umbauarbeiten. Die kann mensch nicht versteckt umsetzen, während so getan wird, als ob alles in Ordnung ist. Um etwas wirklich zu ändern, braucht es ein wohlwollendes, konstruktives, am Besten humorvolles Hinsehen und Agieren mit dem, was nicht passt und den Mut zur Verzeihung. Angefangen im ganz persönlichen Alltag. Erlauben wir uns eine Kultur der anerkannten Unperfektion mit Würde. Erlauben wir uns, dass es uns nicht gut gehen darf und dass es uns dabei gut gehen darf. Ja, ich erlaube mir das und bin es allen anderen vergönnt.
Foto: Walter Ebenhofer