Sinnvoll tätig sein. Eine Reise ins Waldviertel

Sommerzeit ist Reisezeit. So macht sich auch das Institut für zeitgemäße Arbeit auf den Weg. Wir besuchen alte und neue Bekannte, frischen Kontakte auf, beleben neue und erkunden neues Terrain. Unsere Stationen haben alle etwas mit einer kritischen und selbstermächtigten Auseinandersetzung mit Arbeit zu tun. Wir wollen Personen und Institutionen verbinden – und sichtbar machen, wie viele Menschen bereits an einer anderen Arbeitskultur arbeiten.

Die erste Reise führte uns ins nördliche Waldviertel, nach Heidenreichstein, zu Karl A. Immervoll.

Karl A. Immervoll setzt sich seit den 1980er Jahren für die Stärkung des Selbstwerts und der Gestaltungskraft von Menschen ein. Ausschlaggebend war die Tatsache, dass die Betriebe, für deren Bedienstete er Seelsorge-Anlaufstelle war, zahlreiche Kündigungen vollzogen. So sah er seine Aufgabe nicht (mehr) darin, den Menschen eine Stütze im Angestelltenverhältnis zu sein, sondern im Leben abseits einer Lohnvertragsarbeit (LVA).

Da sich Menschen in unserer Gesellschaft – und vielleicht noch mehr in der Mitte der 80er Jahre – enorm über die LVA identifizieren, unterstützte er mittels zahlreichen Projekten Menschen auch in der Inklusion in den offiziellen Arbeitsmarkt.

Das Projekt „sinnvoll tätig sein“ in Heidenreichstein setzte 2017 jedoch deutlich andere Akzente: Insgesamt 44 offiziellen Langzeitarbeitslosen wurde für 18 Monate ein Grundeinkommen mit sehr geringen Bedingungen ermöglicht. In Absprache mit dem AMS waren keine Kontrolltermine nötig, gab es keine Vermittlungen und keine Schulungen. Die teilnehmenden Personen durften mit ihrem AMS-Bezug machen, was sie wollten. Es gab keinen Entwicklungs- oder Ergebnisdruck, nichts musste gerechtfertigt werden. Als einzige Bedingung mussten die Teilnehmer*innen in Kontakt mit der Heidenreichsteiner Arche bleiben. In diesen Zusammenkünften mit dem Team dieser Anlaufstelle für Menschen in Orientierungsphasen ging es jedoch nicht um die Eingliederung in den Lohnvertragsarbeitsmarkt, sondern um den persönlichen Austausch. Das Buch „Sinnvoll tätig sein – Wirkungen eines Grundeinkommens“, frisch erschienen im ÖGB Verlag, gibt Einblick in die Welt der Menschen, die eine Zeit lang nahezu bedingungsloses Grundeinkommen erlebten.

Bevor wir Karl A. Immervoll persönlich trafen, besuchten wir die „Heidenreichsteiner Arche“, die sozusagen der Ausgangspunkt und Hafen des Projektes „sinnvoll tätig sein“ war. Hier bekamen wir einen Eindruck, wie massiv die Scham über offizielle Arbeitslosigkeit ist. Gerade in einem Gebiet, das von Betriebsschlüssen und daraus resultierender Armut sowie Abgeschiedenheit gezeichnet ist – also einem Gebiet, in dem Lohnvertragsarbeitslosigkeit offensichtlich nichts mit individuellem Versagen zu tun hat und sozusagen „Normalität“ ist, wird dennoch nicht darüber gesprochen, sondern sie vertuscht.

Die Arche stellt gerade deswegen eine wichtige Institution dar: Alleine durch ihre Existenz zeigt sie, dass mit der Realität selbstbewusst umgegangen werden kann. Menschen in Orientierungsphasen werden beraten und unterstützt, beispielsweise auf dem Weg aus der Isolation und bei der Entwicklung ihrer Wünsche, Fähigkeiten und sozialen Beteiligung.

Von der Arche wechselten wir in die Betriebsseelsorge. Hier saßen wir an die zwei Stunden mit Karl zusammen, tauschten uns aus, lauschten seinen Erfahrungen und diskutierten über den Spannungsbogen zwischen Inklusion in den Lohnvertragsarbeitsmarkt und der Entwicklung von lohnvertragsunabhängigem Selbstwert und Handlungsmacht. Am Rande streiften wir auch die Ambivalenz von „Hilfe und Unterstützung“ an sich. Mehr dazu findet sich im Buch „Auf Augenhöhe – Hilfe im kleinstädtischen Milieu“ von Karl A. Immervoll und Manuela Brandstetter im LIT-Verlag 2018 herausgegeben.


Mit vielen Eindrücken, Inspirationen und Motivation sowie der Ahnung, dass unser Think-Feel-Do-Tank gewachsen ist, verließen wir Heidenreichstein bei tosendem Gewitter.

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