Seit nun ungefähr drei Jahren bin ich in dem passierten Selbstversuch, ein Leben zu führen, das einem Leben mit gewährleistetem bedingungslosen Grundeinkommen am nächsten kommt. Mensch kann dazu auch sagen, dass ich seit zweieinhalb Jahren in der sozialen Hängematte lieg. Damit schwingt ein gewisser Vorwurf mit, „es sich auf Kosten anderer gemütlich zu machen.“ Falls es jemanden beruhigt: So gemütlich ist die Hängematte nicht. Nein, wahrlich nicht! Das Leben darin ist anstrengend! Die Hängematte schaukelt zwischen der Selbstwahrnehmung Pionierin am Weg zu einer zukunftsverträglichen Arbeitskultur zu sein und den damit verbundenen Existenzängsten. Diese sind gutes Futter für den Selbstzweifel, der wie ein sperriger Haken die Hängematte ungleichmäßig schwingen lässt. Manchmal bleibt die Hängematte durch diesen Haken sogar in einer unangenehmen Position feststecken.
Bis es dann doch wieder zu einem Perspektivenwechsel und damit Emotionswechsel kommt.
Platz? Platz! ?? Zum Platzen!
So eine ungleichmäßig schaukelnde Hängematte ist nicht sehr bequem und wirft die Frage auf, wo tatsächlich mein Platz in der Welt ist.
Wenn ich mir die Frage stelle, was ich tun würde, wenn für mein Auskommen gesorgt wäre – wenn ich also frei, ohne Existenzängste entscheiden kann, was ich tu, ist ideologisch ganz schnell der Anspruch da, zur Gesellschaft beizutragen.
Für mich heißt das, dass ich anderen etwas bieten kann, dass ich im Austausch steh mit anderen, dass ich inspiriere und materiell oder immateriell bereichere. Mit meiner Person, meinen Qualitäten, Eigenschaften, Kompetenzen, meinem Geschenk. Ja, das ist zeitgemäße Arbeit.
Die intellektuelle Beschäftigung mit der Frage „Was würde ich arbeiten, wenn für mein Auskommen gesorgt ist“ – das heißt der Versuch mein Erleben für andere als interessant zu empfinden und es durch Verfassen dieses Textes dementsprechend selbstbewusst und ebenso verständlich darzulegen und damit im Austausch mit anderen Menschen stehen – ist genau das und gleichzeitig im Grunde ein Mechanismus, um die Herausforderung der Arbeitslosigkeit und der Platz Suche in der Gesellschaft zu bewerkstelligen. Es ist Futter für die Perspektive der Pionierin und hilft die Kraft des Selbstzweifelhakens zu lockern. Aber ich möchte mein Geben noch direkter erleben. Direkt zum Gemeinschaftsleben beitragen, nicht für eine Gesellschaft in der Zukunft…und jetzt dafür Anerkennung bekommen.
Im aktuellen System sind „Platz in der Gesellschaft“ und „Arbeitsplatz“ fast identisch.
Einer Lohnvertragsarbeit (LVA) nachzugehen ist die Bestätigung dafür einen Nutzen für die Gesellschaft zu haben. Es gibt einem das Gefühl, seinen Platz in der Gesellschaft zu haben. Umgekehrt ist mensch in der offiziellen Arbeitslosigkeit ständig mit der Aufforderung konfrontiert seinen Platz einzunehmen. Irgendeinen. Hauptsache Arbeitsplatz, um eben der Gesellschaft zu dienen. Ob es der einem persönlich wirklich entsprechende Platz ist, ist fraglich und zweitrangig. Es lässt sich einfach in Anbetracht der Hochhaltung und Bedeutung des Lohnvertragsarbeitsmarktes leichter zufrieden sein – nicht zuletzt wegen diesem Nebeneffekt des Gefühls Sinn für und in der Gesellschaft zu haben und dementsprechend beruhigten Selbstwert und der damit verbundenen materiellen Abhängigkeit. Zufrieden? Nein, es sind genug Menschen unzufrieden mit der LVA. Aber wohl weniger wegen dem Arbeiten an sich und vielleicht sogar weniger wegen der Art der Arbeit. Ist auch gut so, weil mit der meisten LVA ja auch ziemlich viel Scheiß gebaut wird. Es ist zweitrangig, ob mit dem eigenen Tun im Rahmen der Lohnvertragsarbeit zukunftsverträglich zur Gesellschaft beigetragen wird oder nicht. In vielen Fällen wird wahrscheinlich gar nicht darüber nachgedacht. Dafür wird über persönliche Grenzen gegangen und muss einem erst mal der Kragen, die Seele und der Körper platzen, um sich auf sich selbst zu besinnen. Aber eben: Gut so, weil dann ändert sich an dieser pathologischen Situation hoffentlich etwas. Nur traurig, dass Burn-Out und Co anscheinend notwendig sind. Inzwischen wird die Fragwürdigkeit des Lebensstils der kapitalistisch entwickelten Kulturen eh breit diskutiert. Es bedarf eigentlich keines weiten Blickes über den Tellerrand, um zu sehen, dass jeder einzelne Mensch Täter und Opfer zugleich ist.
Alles genug Gründe, um sich auf die Suche nach seinem Platz in der Gesellschaft unabhängiger vom Lohnvertragsarbeitsmarkt zu machen und damit auch zeitgemäße Arbeit zu finden. Zum Beispiel mit der Frage, was ich arbeiten würde, wenn für mein Auskommen gesorgt wäre als Kompass.
Im Umriss stell ich sie mir so vor: ökologisch und sozial friedensorientiert auf die Sicht der folgenden Generationen. Nehmen wir sieben. Und: Würdig für die einzelnen Ausführenden. Mit genug Entlohnung und genug Zeit für anderes –für das Sein, Tun und Wirken für das direkte Umfeld während mensch in seinem Sein aufgeht.
Das innere Geschenk – Ostereiersuche im Dschungel des Neoliberalismus
Es gibt die Annahme, dass jeder genau so perfekt für die Welt ausgestattet ist und mindestens ein Geschenk mitbringt, womit mensch bloß zum allgemeinen Leben beiträgt. Entwickelt wird dieses Geschenk am leichtesten durchs bloße Sein, durch das ehrliche wahrhaftige Leben der eigenen Person mit seinen und ihren Interessen, Vorlieben, Eigenschaften. Also ein sehr individualistischer Ansatz, um zum Kollektiv beizutragen. Wahrscheinlich ist es eine urmenschliche Ambition mit seiner Person für die Gesellschaft nützlich zu sein und dafür Anerkennung zu finden. Schließlich liegt darin die tiefste Absicherung der eigenen Existenz: Bin ich anerkannter Teil des Stammes habe ich meinen sozialen Platz und bin dadurch existenziell abgesichert. Aktuell geschieht dies eben mit der Lohnvertragsarbeit.
Durch die neoliberalen Entwicklungen wurde die Individualität dermaßen forciert, sodass diese „eigene Person, mit der jemand zur Gemeinschaft beiträgt“ zum „wahren Ich“ und dadurch zur „Ware Ich“ wurde. Hinzu kommt die Suggestion, dass uns im reichen Mitteleuropa alle Möglichkeiten offen stehen. Dies ist eine Errungenschaft der Befreiung aus dem Feudalismus. Unser Lebensweg wird uns nicht mehr klar nach Traditionen und von Adeligen vorgeschrieben. Stattdessen geben uns neoliberale Werte die Richtung vor in welche wir zu denken und zu handeln haben. Da wie dort galt es sich mit der Lohnvertragsarbeit zu identifizieren. Nur in unterschiedlicher Form. Heute geht es – im Kontrast zum Feudalismus – darum, das Individuelle zu leben, es herauszustreichen, es vermarkten zu können und damit Geld zu verdienen. Dabei bringt manches leichter und mehr Geld, manches weniger. Nach wie vor werden Eigenschaften und Einsatz für wachstumsorientierte Produktionswirtschaft besser honoriert als eine aktive Widmung der Reproduktionsarbeit im engem wie im weiteren Sinne. Ich meine damit, dass es schwieriger ist mit ausreichender Bezahlung empathisch, geduldig, bedürfnisorientiert und kreativ sich um andere und auch sich selbst zu kümmern als kreativ, bedürfnisorientiert und gleichzeitig mit wenig Rücksicht auf Verluste an neuen Strategien zur Kosteneinsparung zu arbeiten. Um mit nicht klassisch verwertbaren Eigenschaften einen Platz in der aktuellen Gesellschaft zu finden braucht es wirtschaftliches Geschick, Wissen und Wollen, um sich damit zu bewähren und zu vermarkten. Ohne Markt geht nix. An dem Wollen daran teilzunehmen scheitert es vor allem bei mir. Zu stark ist der Trotz und die Abscheu Bedürfnisse zu generieren, wo es doch eh schon so dicht an Angeboten und Produkten ist und aus Leben Ware machen. Reges Markttreiben, das mich ekelt.
Nur, ist das alleinige Sein in Gesellschaft nicht auch schon ein Markt? Wer kann mit wem und wie? Ein Markt der Beziehungen, um einen Platz in der Gemeinschaft zu haben. Wer gefragt ist, ist dabei, wer nicht, bleibt am Rande. Weil er oder sie nicht den Idealen entspricht. Weil er oder sie unbequem ist. So wie die kleinen, langsamen, schwachen in der Stirnzeile als letztes in die Mannschaften für ein Völkerballspiel gewählt werden. (Ich wählte bewusst die sexistisch und ethisch problematischen Bezeichnungen für den nachvollziehbaren Bezug in die Schulzeit der 1980er und 1990er, in der ich dieses Spiel mit diesen Begriffen kennen lernte).
Ja sicher: Auch am Rande erfüllt mensch eine wichtige Rolle; als Auffänger*in für andere, als Aufzeiger*in, dass etwas nicht stimmt, als Wegweiser*in und Proband*in für nötige Zukunftsentwicklungen. Aber es ist nicht leicht. Weil mensch in so einer Position halt schnell als erste*r vom Ball abgeschossen wird. So fühlt es sich für mich zumindest oft an. Zum Glück hab ich ein mir wohlwollendes und dadurch mich schützendes soziales Netz, sodass mich das Treffen des Balles nicht komplett zerstört. Fairerweise erwähne ich, dass die voll angesehenen, meist klar definiert verantwortungsvollen Rollen ebenso nicht leicht sind. Nur haben sie eine klarere und höhere Anerkennung als Platz im sozialen Gefüge.
Es gibt also eine starke Individualisierungsdynamik und gleichzeitig eine wertende Lenkung der Entwicklung der Individualität. Gleichzeitig ist diese individualitätsorientierte Dynamik stark in antikapitalistischen, teils spirituellen Kreisen präsent. Hieraus kommt auch die Annahme, dass jeder Mensch mit einem für die Welt perfekten Geschenk ausgestattet ist. Die Ausrichtung dieser Auffassung ist dagegen fast umgekehrt zur Marktdoktrin.
Der Tenor in diesem Szenario lautet: Sei du selbst und du wirst dich mit der Welt arrangieren können, du wirst deinen Platz finden. Höre nicht auf die Anforderungen der Konvention, entwickle dich selbst und du bist ein wundervoller Beitrag für das Leben und die Zukunft – die eben nicht kapitalistisch sein sollte, um sie lebensmöglich zu gestalten. Und genau dafür braucht es die Entwicklung von starken Persönlichkeiten, die ihr Geschenk abseits der stark markttauglichen Version leben!
Max Ehrmanns Desiderata, das ja erst von den Generationen nach seinem Tod berühmt wurde, ist ein Paradebeispiel davon.
Zugegeben bin ich eine hoffnungsvolle Anhängerin davon und sehe darin einen wesentlichen Aspekt von zeitgemäßer Arbeit. Da eben zahlreichen Bestandsaufnahmen und Prognosen nach der wachstumsorientierte Kapitalismus wenig für eine friedliche Zukunft zu bieten hat, braucht es verstärkt Arbeit an Alternativen. Und da die Lohnvertragsarbeit eine wesentliche Schlüsselfunktion für den Ressourcen verbrauchenden Lebensstil hat, braucht es eine andere Art zu arbeiten. Eine zeitgemäße, die eben mehr im Blick hat als eine Umsatzsteigerung am Jahresende. Zusätzlich sehe ich in der Individualisierungsdynamik eine logische Reaktion auf die Unterdrückung von individuellen Bedürfnissen und Emotionen zwecks enormer Anpassung der Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig hat sie inzwischen den Anschein als Ablenkungsmanöver von den aktuellen Missständen der Gesellschaft zu fungieren: Mehr Fokus auf sich selbst, um nicht zu bemerken, was rundum geschieht.
Dennoch: Ich habe zumindest meine Hoffnung darin, dass es gerade die erweiterte Auseinandersetzung mit der Individualität braucht, um ausreichend zu erkennen, dass Vieles nicht zu unserem Wohl ist. In weiterer Form fördert dies die Vorstellungskraft dafür was Menschen tun möchten, wenn für ihr Auskommen gesorgt ist und dadurch Veränderungen für schönere Zukunftsaussichten geschehen können.
Schöne Theorie – und der Boden der aktuellen Realität?
Ich habe also den Anspruch mit meiner Person zu einem harmonischen Kollektiv beizutragen und den Glauben, dass dies am besten mit meinem Geschenk geschieht. Dieses Geschenk zum Wohle aller zu leben würde ich auch tun, wenn für mein Auskommen gesorgt wäre. Ja, wahrscheinlich, könnte ich es sogar viel besser entfalten und einbringen! Wär ja alles kein Problem, wenn dieser neoliberale Kapitalismus nicht wäre! Schön und einfach ist es, einen Sündenbock zu haben!
Doch liegt in dieser trotzigen Aussage eine hilflose und gleichzeitig faule Ausrede, weil ich aktuell Schwierigkeiten habe mein Geschenk zu finden? Ja, was ist, wenn ich mein Geschenk nicht erkenne? Was ist, wenn ich inmitten all der Ansprüche von außen und innen der verschiedenen Individualitäts-Fronten ringe. Wenn mich dieses Ringen dazu bringt, mich am wahrhaftesten zu fühlen, wenn ich unbedarft, gut versorgt durch schöne Landschaft streife? Oder einfach nur Genusszeit mit einem Pferd verbringen möchte? Ist das verwerflich? Oder ist es ein Weg, die Kunst des Müßiggangs zu lernen?
Die letzte Frage mit „Ja“ zu beantworten wäre ein schöner Gedanke, der auf die Pionierseite der Medaille zu sehen ist. Doch Sündenbock hin oder her: Diese Situation ist beschissen! Es fällt mir im Alltag schwer an diese Seite der Medaille zu glauben und davon gestärkt den Weg zu gehen und mich tatsächlich dafür so einzusetzen, dass ich das Gefühl habe für mich befriedigend zur Gemeinschaft beizutragen.
Danke an Steve Johnson für das Hintergrundbild des Titels