Wie arbeitest du, wenn du scheitern darfst?

Diesen Sommer durfte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Julia Gieray einen schönen Workshop mit dem Titel „Lust am Scheitern“ leiten. In der Vorbereitung darauf fassten wir den Entschluss, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Das fing damit an, eben diese Vorbereitung auf ein Minimum zu reduzieren. Im Workshop wollten wir nicht nur mit Improtheater-Elementen arbeiten, sondern auch selbst ins kalte Wasser springen. Wer keinen Plan hat, muss improvisieren. Wer improvisiert, blickt der Möglichkeit des Scheiterns direkt in die Augen. Unsere Idee war, in der Leitungsrolle transparent mit unseren Fehlern umzugehen und uns verletzlich zu zeigen. Wir taten also das, was wir sonst so gerne vermeiden und unter den Teppich kehren wollen. Wir setzten uns das Ziel, zu scheitern.

Das Paradox des Scheiterns

Diese Herangehensweise verlieh dem Workshop eine sehr persönliche Note, brachte aber auch eine unerwartete, amüsante Erkenntnis. Indem wir uns das Ziel gesetzt hatten, zu scheitern, wurde es plötzlich schwierig, unseren Erfolg zu beurteilen. Würden wir einen erfolgreichen Workshop leiten, wären wir an unserem Ziel (zu scheitern) gescheitert. Würden wir hingegen im Workshop so richtig scheitern, hätten wir unser Ziel erreicht. Das Erreichen des Ziels wäre aber ein Erfolg (also das Gegenteil von Scheitern) gewesen. Auf einer höheren Ebene wären wir also wieder gescheitert. Kaum wollten wir uns darüber freuen (war es doch unser Ziel zu scheitern), wurde uns schmerzlich bewusst, dass wir damit (also mit dem Erreichen unseres Ziels) schon wieder unser Ziel verfehlt hatten. (Ich erspare uns jetzt, diese Gedankenspirale noch weiter zu drehen.)

Diese Hirnwichserei hatte eine angenehm entspannende Wirkung. Gerade für Perfektionist_innen wie uns, ist es unglaublich befreiend, die eigenen hohen Ansprüche ad absurdum zu führen. Es wird wunderbar deutlich, dass wir uns diese Gedanken über Erfolg und Misserfolg genauso gut sparen könnten. Oder aber wir erfreuen uns einfach am Weiterdrehen der paradoxen Scheiter-Gedankenspirale. Beides ist gut.

Ich wär‘ so gern…

So lustig es sein kann, sich Scheitern zum Ziel zu setzen, so mächtig ist das Konstrukt von Erfolg und Scheitern im Alltag. Bekanntlich hat der menschliche Geist die zukunftsweisende Fähigkeit, an morgen denken zu können. Heute setzen wir uns Ziele (manche mehr bewusst, manche weniger); morgen vermag unser Verstand diese Ziele mit der Realität zu vergleichen. Dann folgt die Beurteilung, also die Einordnung unserer Realität in Erfolg oder Scheitern. Damit lässt es sich hervorragend identifizieren. Freudig und stolz blicken wir auf unsere Erfolge, traurig und beschämt auf unser Scheitern. Der Spielplatz unseres Selbstkonzepts kennt klare Gewinner und Verlierer.

Was wir als Erfolg und was als Scheitern betrachten, hängt also davon ab, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir gerne sein möchten. Dabei sind wir auch stets beeinflusst von den Urteilen der (Leistungs-)Gesellschaft, in der wir leben. Das beginnt in der Familie, das lehrt uns die Schule (bei manchen funktioniert‘s sehr gut, bei anderen gar nicht genügend) und zieht weite (Freundes-)Kreise. Ganz wichtig: Denk stets daran, wie sich dein Leben im Lebenslauf macht – achja, und ob es instagrammable ist.

Im Großen und im Kleinen

Meanwhile on planet earth: globale Ungleichheit, Klimawandel, Zerstörung von Ökosystemen, Ausbeutung natürlicher und menschlicher Ressourcen. All das sind Kollateralschäden unserer Leistungsgesellschaft. In anderen Worten: Die gängige Erzählung davon, wie jede_r einzelne von uns am Arbeitsmarkt zu funktionieren hat, bewirkt ein soziales und ökologisches Scheitern von globalem Ausmaß. Vielleicht empfinde ich meinen Job sogar als sinnlos – aber hey, bloß nicht riskieren, mein sicheres Einkommen zu verlieren. Wir mühen uns ab, im Kleinen erfolgreich zu sein – und scheitern groß.

Ach, würden wir doch mehr im Kleinen scheitern! Würden wir uns doch mehr Fehler und Verletzlichkeit erlauben! Würden wir doch weniger den Idealen der Leistungsgesellschaft blind hinterherlaufen! Würden wir doch stattdessen darauf hören, was uns wirklich gut tut! Würden wir doch weniger müssen! Würden wir doch mehr dürfen! Würden wir doch mehr mit Liebe arbeiten!

Frei zu scheitern

Gerne stellen wir hier im Institut die Frage, „Was und wie arbeitest du, wenn für dein Auskommen gesorgt ist?“ Das ist insofern sinnvoll, als finanzielle Sorgen ein verbreitetes Hemmnis sind, in Freiheit tätig zu sein. Doch reicht die Befreiung von finanziellen Sorgen aus, um selbstbestimmt arbeiten zu können?

Stellen wir uns vor, ein bedingungsloses Grundeinkommen ist Realität – in ausreichender Höhe, sodass für unser Auskommen gesorgt ist. Wie frei bin ich nun, das zu tun, was ich gerne tue? Zumindest in finanzieller Hinsicht verringert sich das Risiko zu scheitern. Damit ist viel gewonnen. Vor meinen eigenen hohen Ansprüchen, den Erwartungen anderer, vor Versagensangst und Blamage wird mich jedoch auch ein noch so hohes Grundeinkommen nicht schützen. Hier bin ich selbst gefordert, einen Umgang zu finden. Unsere Fehlerkultur weiter zu entwickeln, lohnt sich also in jedem Fall – sei es mit bedingungslosem Grundeinkommen, oder ohne. In diesem Sinne: Lasst uns selbstermächtigt mit unserem eigenen Scheitern spielen!

Freilich sind wir nicht die ersten, die den Reiz des Scheiterns entdeckt haben. Doch kommt es – wie so oft – auch beim Scheitern auf die Intention an, mit der wir uns an das Thema heranwagen. Geht es darum, als Mensch ganz da sein zu dürfen – oder dient die Thematisierung des Scheiterns eigentlich nur dazu, auch noch unsere (sonst so unproduktiven) „Fehler“ kapitalistisch zu verwerten? In diversen Selbstoptimierungs-Blogs wird die Frage gestellt, „Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nicht scheitern kannst?“ Aha. Hier wird also die schmerzliche Möglichkeit des Scheiterns hoffnungsfroh „weggedacht“. Abgesehen davon, dass der Versuch des Wegdenkens seine Tücken hat (denke nicht an einen rosaroten Elefanten!), wird im Subtext immer noch transportiert, dass Scheitern unerwünscht ist. Stell dir vor, du wärst unverletzlich, aber sei bloß nicht verletzlich! So könnte die Botschaft etwas zugespitzt lauten. Warum erlauben wir uns stattdessen nicht unsere Fehlbarkeit und Verletzlichkeit? Dann lautet die Frage, „Was tust du, wenn du scheitern darfst?“ – und mindestens ebenso interessant ist, „Wie tust du, wenn du scheitern darfst?“

Wenn wir uns ehrlich auf diese Fragen einlassen, werden wir herausfinden, dass die Antworten darauf nicht unbedingt zur Steigerung der Wirtschaftsleistung taugen. Und das ist gut so.


Foto: Vidar Nordli-Mathisen

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